II.2. Abschied von einem vorgeburtlich verlorenen Zwilling Dies Thema betrifft ca. 40 % der Bevölkerung, ist den meisten Betroffenen jedoch unbekannt- und leider auch den meisten Therapeuten. Obwohl es sich sehr gravierend auf das eigene Leben, Beruf und Partnerwahl auswirken kann.
Entstehung Unsere Beobachtungen lassen uns annehmen: Wenn ein Klient zu Beginn der Schwangerschaft sich nicht alleine, sondern zusammen mit einem Zwillings-Embryo in Mutters Bauch befindet, dann speichert sein – bereits so früh aktives! - Körperbewusstsein das ab, so als sei er vollständig nur mit einem Zwilling. Wenn dann in der Regel zwischen der 8.-12. Woche sich der Zwilling verabschiedet – nur in 2 % kommen beide Zwillinge lebend auf die Welt! - dann wird auch das abgespeichert als Trennung und Verlust – so als sei man alleine unvollständig.
Illusionärer Gewinn Der Betroffene hat den Zwilling als Introjekt in seinem Raum. Da er nicht sicher unterscheiden kann zwischen seiner Welt im Leben – und der Welt des verstorbenen Zwillings – bewegt er sich unbewusst bisweilen in „anderen Welten“, um so mehr wenn der reale Alltag in seiner Familie eher triste und unerfreulich war. Dann erscheint der Platz bei dem verstorbenen Zwilling als sicherer Fluchtpunkt. Ohne sicher Wahrnehmung für die Grenzen – auch zwischen diesen Welten – entwickeln die Betroffenen oft eine besondere Sensitivität, bisweilen gar mediale Fähigkeiten. Das führt sie oft in helfende und heilende Berufe – wo ihnen aber dann die fehlende Abgrenzung zum Klienten und dessen Problemen grosse Schwierigkeiten bescheren kann.
Folgeprobleme für die Betroffenen Die Betroffenen haben in der Regel massive Beziehungsprobleme. Da sie unbewusst fixiert sind auf die Suche nach einem Ersatz für den verlorenen Zwilling, können sie ihr eigenes Selbst nicht wahrnehmen oder gar achten. Ihre Sehnsucht nach einer verschmelzende Beziehung – um sich wie damals vollständig zu fühlen – führt sie immer wieder in symbiotische Beziehungen mit ebenfalls traumatisierten Partnern. Ein weiteres Folgeproblem ist ihre Verlustangst, die durch jede neue Beziehung getriggert wird, und nicht selten zur Beendigung der Beziehung führt. So wiederholen sie – unbewusst – das Verlusttrauma von damals. Ohne gesunde Abgrenzung fühlen sie sich – ungebeten – zuständig für Probleme anderer – und halten das irrtümlich für „Liebe“. Das bezieht sich zunächst auf die Eltern, und Geschwister, und später auf den Partner oder die eigenen Kinder. Sie neigen dazu, fremde Traumen zu übernehmen, und in eine derartige Selbstüberforderung und Verwirrung zu geraten, dass sie bisweilen sogar psychiatrische Hilfe benötigen. So versäumen sie selber das Glück eines selbstbestimmten Lebens. Und den anderen erschweren sie unbewusst die Entwicklung einer eigenen Autonomie. Und das alles unter der Vorstellung einer wahren, (buchstäblich!) selbstlosen Liebe!
Lösungsprozess – Dialog mit verlorenem Zwilling Auch wenn die erwähnten „Indizien“ für ein Verlusttrauma „verlorener Zwilling“ sprechen, habe ich mir angewöhnt, das zunächst als Vermutung zu bearbeiten, die dann durch den Lösungsprozess bestätigt wird – oder fallen gelassen werden kann.
Zunächst hält der Klient das Symbol des verlorenen Zwillings an seine Brust und spürt nach, ob eine derartige Verbindung im Körpergedächtnis gespeichert ist. Es ist immer wieder erstaunlich, wie heftig die Reaktionen bei diesem „Test“ sind: sie schwanken zwischen Glück, Wärme und Liebe einerseits – und Schmerz und Trauer andrerseits. Beides spricht dafür, dass der Klient sich – trotz der frühen Trennung – noch verbunden fühlt mit diesem Zwilling – so als seien sie beide nur vollständig, wenn sie zusammen sind! Wie ist es da überhaupt möglich, Abschied und Trennung zu vollziehen? Auch hier ist zunächst das Aufstellungs-Setting für die Lösung hilfreich. Wenn der Klient erkennt, dass diese Zwillingsbindung seine Selbstverbindung blockiert – und damit seine diversen Probleme verursacht hat, dann fällt es ihm - zumindest rational – leichter sich zu verabschieden. Wenn er sich weiter bewusst wird, dass er offenbar unbewusst den Zwilling „festgehalten“ hat, sodass dieser seinen Frieden nicht finden konnte, weil immer noch hautnah mit ihm und seinem Leid verbunden. Und wenn er sich weiter bewusst macht dass auch er nicht in ein unbeschwertes Leben finden konnte, da unbewusst noch verbunden mit diesem Zwilling, der keinen Platz in der Familie und im Leben finden konnte - (Dieser Aspekt „immer auf der Suche, meinen Platz nicht finden“ ist vielen Betrofffenen bekannt!)
- dann kann er sich heute dazu entscheiden, diese „lose-lose-Situation“ zu verwandeln in eine „Win-Win-Situation“, indem er sich von ihm verabschiedet, für immer.
Würdigung Auch hier gelingt der Abschied leichter, wenn zunächst das Wertvolle gewürdigt wird: „Ich achte es, dass du mich die ersten Schritte in mein Leben begleitet hast, sodass ich schon so früh eine beglückende Zweierbeziehung erleben konnte. Jetzt sehe ich, das wir beide, jeder für sich, vollständig ist. Daher muss ich dich nicht länger festhalten!“ Der Klient spürt bei sich – und mit einem Finger beim Zwillings-Symbol, wie sich das anfühlt? - Meistens für beide vielleicht schmerzlich aber auch entlastend.
Schuldgefühle….oder Wut? Nicht selten fühlen sich die Betroffenen schuldig für das Schicksal des Zwillings, • so als hätten sie zuviel Raum eingenommen und dadurch den Zwilling „aus dem Nest gestossen“? • So als hätten sie irgendwie dies Schicksal verhindern könne und sollen? • So als wären sie besser zusammen mit dem Zwilling in den Tod gegangen, um nicht getrennt zu werden?? • wenn Klientin gespürt hatte, dass der Zwilling ein Junge war - den die Eltern sich vielleicht so sehnlich erwünscht hatten – dann kann das sich auswirken in Form von Glaubenssätzen wie: Besser wäre ich gestorben als er! Ich habe - als Mädchen-kein Recht, zu leben und glücklich zu sein!
(Es mag verwundern, dass schon vorgeburtlich und vorsprachlich solche Vorstellungen entstehen können. Aber die Resonanz der Klienten bestätigt das immer wieder.) Wenn sie dann zum Zwilling hinspüren, wie das für diesen wäre, wenn der überlebende Zwilling solche Gedanken hätte, dann kommt meist ein entlastendes Strahlen in ihr Gesicht „Der findet das völlig unpassend und verrückt – es war doch sein Schicksal!“ Mein Kommentar: „Das bezeichnen wir als „embryonalen Grössenwahn“ – anscheinend wollten Sie schon als Embryo den anderen retten?!“
Selten beobachte ich eine heftige Wut des Klienten auf den Zwilling, der ihn alleingelassen hat in einer – möglicherweise – so belastenden Familie! Das Aussprechen dieses Vorwurfs und das Nachspüren beim Zwilling zeigt: das hat auch ihm leid getan, es war keine böse Absicht, er konnte nicht anders! Dieses selber spüren zu können ist für den Klienten in der Regel sehr entlastend und versöhnlich.
..und Abschied Nachdem der Klient diese unterschiedlichen und verwirrenden Gefühle klären konnte, ist er bereit, sich von dem verlorenen Zwilling zu verabschieden. „Wo auch immer du bist, ich wünsche dir alles Gute!“ Wenn er danach seinen Finger auf das Symbol des Zwillings legt, kann er spüren, wie erleichter der dadurch ist! Und er kann spüren, was der Zwilling ihm zum Abschied mit auf den Weg gibt: Lebe dein eigenes Leben! Und ihm kann bewusst werden, dass er bisher den Zwilling mit seinem eigenen Selbst verwechselt hat. Wenn er erkennt, dass er vollständig ist auch ohne den Zwilling, dann ist der Weg frei zu seinem eigenen wahren Selbst, das er bisher noch gar nicht kennen lernen konnte: neu unbekannt – und daher sehr prickelnd!