Als zentrale Ursache des Burnout erweist sich eine fehlende Abgrenzung gegenüber der Arbeit, gegenüber den Leistungserwartungen der Vorgesetzten. Die Betroffenen identifizieren sich mehr mit der Arbeit, als mit ihren eigenen persönlichen Anliegen und Bedürfnissen. Daher machen sie oft Überstunden, nehmen die Arbeit mit nach hause. Die fehlende Abgrenzung zeigt sich auch darin, dass die Arbeit sie bis in ihre Träume hinein verfolgt. Sie definieren sich über Leistung, fühlen sich unwert, wenn sie keine gute Leistung bringen können. Das treibt sie immer tiefer in einen chronischen Erschöpfungszustand, oft verbunden mit depressiven oder psychosomatischen Symptomen. Sie haben extreme Schwierigkeiten, sich krank schreiben zu lassen, um sich wieder erholen zu können. Sie beschreiben ein Gefühl des Versagens, des Nichts- Mehr - Wert - Sein, das für sie schrecklicher ist, als die Erschöpfung. Ein Teufelskreis. Aus meiner Zeit als Kassenarzt weiss ich noch, wie mühsam es war, Betroffene von der Notwendigkeit einer Pause, einer Krankschreibung, einer psychosomatischen Kur zu überzeugen. Und wie abgrundtief enttäuscht und resigniert diejenigen waren, die vom Arbeitgeber wegen Nachlassen der Leistung versetzt oder entlassen wurden, z.T. ohne angemessene Abfindung. In folgendem Fallbeispiel wird diese Dynamik sehr deutlich. Die fehlende Abgrenzung zum Vater ist das Modell für die fehlende Abgrenzung gegenüber der Arbeit.
FALLBEISPIEL BURNOUT
Julia, eine ca. 35-jährige, schlanke, hochgewachsene Frau war gerade in einer psychosomatischen Klinik wegen Burnout. Sie wirkt sehr lebendig, aber verstandesorientiert, zeigt wenig Gefühl. Sie hat einen technischen Beruf gewählt - mehr Vaters Vorstellung entsprechend, als den eigenen. Aber sie habe sich damit arrangiert.
Der Vater, belastet durch eigene Probleme, war für sie emotional wenig erreichbar. Sie stellt den Vater in ca. 3 Meter Entfernung, sich und ihre beiden Selbstanteile neben sich ihm gegenüber. Ihre Selbstanteile fühlen keine Verbindung zu ihr, gehen zu ihr auf Distanz. Es zeigt sich, dass sie glaubte, die bessere Partnerin für Vater zu sein und dass sie sich auch auf seinem Boot zuständig fühlte. Sie konnte sich entschliessen, aus Vaters Raum auszusteigen, ihm das zurück zu geben – seine Ansichten, seine Erwartungen - was sie unbewusst als Eigenes übernommen hatte. Nun wäre es möglich, sich mit ihrem abgespaltenen erwachsenen Selbst zu verbinden, dem Teil der sich auch ohne Vater vollständig fühlt, der sich abgrenzen kann, auch gegenüber der Arbeit. Aber sie ist gar nicht an ihrem erwachsenen Selbst interessiert!! Sie findet es gar nicht anziehend oder liebenswert. Auch als der Leiter sie darauf hinweist, dass es hier nicht um die überforderte „pseudoerwachsene“ kleine Julia geht, sonder um ihr erwachsenes, starkes Selbst, ändert das nicht ihre Einstellung.
Also geht es jetzt zum nächsten Schritt: den eigenen Raum dadurch in Besitz zu nehmen, dass sie ihn – auf einer symbolischen Ebene - gegenüber Vater und dessen Ansichten und Erwartungen abgrenzt. Sie ist dazu bereit. Als der Vater auf sie zukommt, weicht sie seitlich aus, verlässt ihren Raum und lässt den Vater hinein! Sofort erkennt sie die Bedeutung dieses Geschehens: sie hat eine Hemmung sich gegenüber Vater – und den Vorgesetzten der Arbeit? - abzugrenzen, stellt ihm sofort ihren Raum zur Verfügung! Sie ist ratlos. Der Leiter weist sie darauf hin, dass das von ihr abgelehnte erwachsene Selbst die Fähigkeit hat, sich gegenüber dem Vater abzugrenzen, und dass es ihr zeigen könne, wie das geht. Nun erst wird ihr das erwachsene Selbst interessant. Sie lässt sich von ihm zeigen, wie es geht. Sie ist begeistert von ihrem erwachsenen Selbst, verschmilzt mit ihm – statt mit dem Vater – und nun kann auch sie selber sich gegenüber dem Vater abgrenzen, ihren eigenen Raum in Besitz nehmen.