Liebe Mara, vielen Dank für Deine offene Mitteilung. Ich stelle mir vor, dass Du eine Menge Mut aufgebracht hast, Deine echten, mit unbequemen Gefühlen verbundenen Erfahrungen zu beschreiben. Bei mir kommt auch an, dass Du eine Menge Kraft hast und Geduld, Deinen Prozess zu erforschen. Hut ab! vor Deinen eigenen Schlüssen, die Du ziehst und hier ausdrückst. Mir persönlich war und ist die Symbiosetherapie sehr hilfreich, um meine Traumata zu behandeln und mehr und mehr zu heilen und um anderen Menschen dabei dienlich zu sein, in ihre Würde und Selbstbestimmung zu wachsen. Meiner Erfahrung nach ist es tatsächlich immer auch ein Risiko, sich auf eine therapeutische Situation einzulassen, denn so ganz wissen wir nie, was uns erwartet: sowohl an Gefühlen und Reaktionen aus unserem Inneren als auch an Hilfestellung und Klärung von Aussen. Aber dieses Wagnis einzugehen, heisst auch, einen mutigen Schritt zu sich sebst zu tun, die Abenteuerin in sich zu erlauben, selber zu entscheiden - aus dem Wissen der eigenen Stärke wie auch der eigenen Verwundbarkeit heraus. Sich das herauszunehmen, sich dem zu stellen, halte ich für so so wertvoll für einen selbstbestimmten, heilsamen Lebensweg. Ich glaube, das Kennzeichen einer "gesunden" Grenze ist, dass sie paradox wirkt: zum einen gewährt sie uns die Möglichkeit, ganz, vollständig in unserem eigenen Raum zu sein, so dass wir uns tatsächlich geschützt und geborgen fühlen können, unabhängig von anderen. Gleichzeitig ermöglicht sie Kontakt, Berührung und Austausch. Nach meinem Verständnis ist eine gesunde Grenze so etwas wie PRÄSENZ: Ich bin dann bewusst da, erlebe, spüre mich selbst, emp-finde SELBST-Liebe - im Gewahren meines körperlichen Da-Seins, meines Raumes - und bin SELBST-verständlich in der Lage zu unterscheiden zwischen mir und meinem Gegenüber. Und wenn der Fluss der Liebe an dieser bewussten (= gesunden) Grenze gelingt, verwandelt sich meine SELBST-Liebe wie von SELBST in Nächstenliebe. Meine persönliche Erfahrung mit meinen "nicht sehr präsenten" Eltern hat mich in Gefühle von tiefem Unglück, Einsamkeit, Wert- und Sinnlosigkeit gestürzt. Mein heilerischer Weg ist so für mich ein Not-wendiger Selber-bewusst-seins-Weg geworden, d. h. den Schmerz, das Leid, das ich durch "Ignoranz", "Nicht-Achtung" erfahren habe, ist mir zum Motor geworden für mein unermüdliches Suchen nach "bewusst, aufmerksam, achtsam sein" geworden. Diesen Prozess empfinde ich mittlerweile als so spannend, lehrreich, überraschend, kreativ und heilsam, dass ich aufhören kann, mich als Opfer zu fühlen und in der Lage bin, mein Leben in seiner Lebendigkeit und Sinnhaftigkeit, einfach, weil es ist, bedingungslos, voll und ganz anzunehmen. Ohne die leidvollen Erfahrungen mit meinen Eltern, wäre ich vielleicht nie auf die Idee gekommen, dass ich es selbst übernehmen kann/muss, nach der unabhängigen Liebe, Schönheit und Kraft in mir zu schauen. Irgendwie paradox, aber auch ganz schön logisch. Viel Freude Dir weiterhin beim Ent-Wickeln und Ausdrücken Deiner Selberpower und alles Liebe von Rita Weininger